Das Forschungsprogramm für die Abschlussphase 2000 - 2001

Der Sfb 186 befindet sich seit Januar dieses Jahres in seiner abschließenden Forschungsphase, die mit dem 31. Dezember 2001 zu Ende geht. 14 Jahre intensiver Forschungsarbeit werden dann bilanziert und veröffentlicht sein. Hier geht es zunächst um eine Zwischenbilanz, einen kurzen Rückblick auf den bisherigen Ertrag und einen Ausblick auf die kommenden zwei Jahre.

Der deutsche Lebenslauf im Umbruch

In einer pointiert auf das Verhältnis von Institutionen und individuellen Akteuren bezogenen Forschungsperspektive ging es in den zurückliegenden Jahren um die gesellschaftliche Organisation von Lebensverläufen sowie die individuelle Koordination von Lebensbereichen und biographischen Übergängen. Institutionen und kulturelle Leitbilder rahmen nicht nur die Zeithorizonte der Biographie, sondern stellen auch Ressourcen zur Gestaltung und Reparatur von Lebensverläufen zur Verfügung. Das Verhältnis zwischen Institutionen und Akteuren ist durch krisenhafte Modernisierungsprozesse starken Belastungen unterworfen. Übergänge im Lebensverlauf haben nämlich an institutionell verbürgter Kontinuität und Ressourcenausstattung sowie an zeitlicher Konturierung verloren. Damit werden die gesellschaftlichen Akteure, Institutionen und Individuen gleichermassen unter einen stärkeren Handlungs- und Legitimationsdruck gestellt, der sie - wie das Anthony Giddens ausdrückt - zu reflexiver Regulierung und Steuerung einerseits und zu selbstorganisierten und selbstverantworteten Lebensläufen andererseits veranlasst.

Diese sich seit dem Ende der Prosperitätsphase der in der BRD herausbildende Konstellation aktualisiert auch den Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischen Risiken und der Kontinuitätsproblematik von Lebensläufen, da sie neue Muster sozialer Ungleichheit strukturiert. Beispielsweise dann, wenn Übergangsrisiken bei bestimmten Sozialgruppen kumulieren und es diesen nicht gelingt, sich mit Ressourcen auszustatten und Berechtigungsnachweise zu erwerben, die den Kriterien und Anforderungen der Teilhabe am Beschäftigungssystem und den Leistungen der sozialen Sicherung entsprechen. So hat die gesellschaftliche Modernisierung nicht nur die Optionalität für die Gestaltung von Biographien erweitert, sondern auch die individuelle Abstimmung zwischen Passagen im Bildungs-, Erwerbs-, Familien- und Ruhestandskontext sozial ausdifferenziert. Anders ausgedrückt: Der Prozess der Individualisierung von Biographien ist von sozialer Herkunft, Bildung, Beruf und Geschlecht nicht unabhängig und an die Entwicklung von Arbeitsmarkt und Sozialstaat gebunden.

Dennoch wäre es aus soziologischer und empirischer Sicht voreilig, eine Ursache-Wirkungs-Kette von makrostrukturellem Wandel (Globalisierung) über institutionelle Reflexivität zu individualisierter Biographiegestaltung zu konstruieren. Gerade in der empirischen Lebenslaufforschung wird deutlich, dass zwischen gesellschaftlichen Makrostrukturen, der institutionellen Steuerung von Lebensverläufen und den Mikroprozessen biographischen Handelns - etwa bei der Bewältigung von Übergängen - lockere Verbindungen, vielfältige Arrangements und Konfliktlinien bestehen. Dies lässt sich durch Projektergebnisse über die partiellen oder segmentierten Zuständigkeiten der gesellschaftlichen Institution für verschiedene Phasen und Konstellationen im Lebensverlauf belegen.

Die Optionen für Bildung, Erwerb. Zusammenleben, soziale Sicherung und Gesundheitsversorgung und deren Verfolgung durch die Individuen werden in der post-traditionalen Gesellschaft zu einem Feld von Lebenslaufpolitik. Dieses im Sfb 186 entwickelte Konzept betrifft die institutionalisierte Sicherung, Erweiterung, aber auch Verengung der Verantwortlichkeit des Individuums - unter Einbezug seines sozialen Netzwerks - für die Gestaltung von Übergängen und Statussequenzen und die Überbrückung von kritischen Lebenslagen oder Statusrisiken. Wenn sich die sozialstaatlichen Institutionen von einer aktiven und prospektiven Lebenslaufpolitik zurückziehen, dann hat dies, so zeigen Projektergebnisse im Sonderforschungsbereich, mindestens einen zweifachen Effekt: Soziale Ungleichheit vertieft ihre Strukturierungswirkung auf die horizontale und vertikale Koordination von Übergängen, und durch die wegfallenden Kontinuitätsgarantien der institutionellen Lebenslaufpolitik werden die Individuen zunehmend mit einem hohen Maß an Planungsungewißheit konfrontiert. Mit Blick auf die gegenwärtige Auseinandersetzung über neo-liberale und linke Modernisierungspolitik in der Bundesrepublik zeigen unsere Ergebnisse, dass die deutsche Konfiguration von Lebensverläufen auch angesichts wachsender Strukturprobleme der sozialstaatlichen Politik noch durch ein beträchtliches Maß an Stabilität und Verlässlichkeit über die Lebensphasen hinweg gekennzeichnet ist.

Den Rückblick zusammenfassend: Das deutsche Lebenslaufregime, das nach Martin Kohli Kontinuität verspricht, Übergänge im Lebensverlauf nach Sequenzmustern ordnet und die individuelle Lebensplanung rahmt, ist zunehmend durch lebenslaufpolitische Veränderungen geprägt, die das Verhältnis von Institutionen und individuellen Akteuren an Schaltstellen der Biographie sowie im Falle von Risikolagen umgestalten. Diese Konzeption verweist darauf, dass Lebenslauf- und Biographieforschung im Bremer Sonderforschungsbereich sich nicht allein auf die Zeitachse der Biographie bezieht, sondern auch auf die Abstimmung der zum Teil konkurrierenden Partizipationserwartungen und -verpflichtungen in den Lebensfeldern Bildung, Erwerb, Familie und sozialstaatliche Institutionen.

Institutionalisierung, Sequenzierung und Verflechtung: Wege zu einer Theorie des Lebenslaufs

Nun zur Perspektive für die beiden letzten Forschungsjahre des Sfb.
Die Forschungsziele in der Abschlussphase will ich vor dem Hintergrund der neuen Kooperationsstruktur der Teilprojekte skizzieren. Dieses "Rad des Schicksals" - es mag auch mit dem Lebenszyklus assoziiert werden - ist auf die drei Leitkonzepte "Institutionalisierung", "Sequenzierung" und "Verflechtung" konzentriert.

Die seit Beginn des Sfb zentrale Frage der Wirkung der gesellschaftlichen Formung und Transformation von Passagen und Übergängen im Lebensverlauf lässt sich in Bezug auf das Konzept Institutionalisierung auf die vier folgenden Aspekte beziehen:

1. Wie ist das Verhältnis von Beharrung und Wandel in den institutionellen Zuständigkeiten für Lebensphasen?

2. Inwieweit gibt es eine Veränderung von Steuerung und Administration von Biographien zu einer aktivierenden Lebenslaufpolitik?

3. Denken deutsche Institutionen ähnlich? Gibt es explizite oder implizite Abstimmungen zwischen den Leitbildern der Bildungs-, Beschäftigungs-, sozialen Sicherungs- und Familiensysteme?

4. Welche Spielräume zum Aushandeln zwischen Individuum und Institution sind in welchen gesellschaftlichen Organisationen möglich, und welche Rückwirkungen haben die Ansprüche auf selbstorganisierte Biographiegestaltung der Individuen auf das institutionelle Handeln?

Das Leitkonzept "Sequenzierung" steht im Mittelpunkt der Lebenslaufforschung nicht nur im Bremer Forschungsansatz. In der Abschlussphase gilt es, das Statuspassagenkonzept in einen lebenszeitlichen Ansatz zu transformieren, der sich auf Übergänge und Trajekte, also ganze Verlaufsmuster bezieht. Von hier aus ergeben sich auch Bezüge zu Theorien über soziale Mobilität und zu den Alters- und Generationenansätzen in der Soziologie. Dabei werden die folgenden drei Aspekte hervorgehoben:

1. Die zeitdynamische Analyse von Entry- und Exitprozessen, deren begriffliche Zusammenschau zu Abfolgemustern von Übergängen noch aussteht.
2. Die Rolle von Institutionen bei der Rahmung bzw. Steuerung verschiedener Sequenztypen wie "Brücke" oder "Bruch".
3. Die konzeptuelle und methodische Einbindung der vorrangigen Analysemethoden von Längsschnittdaten, nämlich event history analysis und Sequenzmusteranalysen.

Schließlich geht es beim dritten Leitkonzept "Verflechtung" um die Frage, wie Institutionen Relationen zwischen Lebensläufen, mit Akzentuierung auf das Geschlechterverhältnis, herstellen. Folgende Aspekte stehen bei der Ausgestaltung des Verflechtungskonzepts im Mittelpunkt:

1. In welcher Art kreuzen sich in Lebensgemeinschaften (Partnerschaften, Familien, Generationen) gesellschaftlich unterschiedlich strukturierte Geschlechterbiographien? Welche Besonderheit weist das deutsche Lebenslaufregime bei sozialisatorischen und institutionellen Weichenstellungen von Lebensläufen nach dem Kriterium Geschlecht auf?
2. Wie wird über die Familie Lebenslaufpolitik betrieben, wie reproduzieren sich in diesem Verbundsystem geschlechtsdifferenzierende Beziehungsmuster, und in welchem Maße kann durch eigenständiges Beziehungsmanagement die Biographie gestaltet werden?
3. Lassen sich Ergebnisse und Schlussfolgerungen über Verflechtungsmechanismen gewinnen, die die Individualisierungsthese unterstützen, relativieren oder gar in Frage stellen?
4. Schließlich wird der Ertrag der Kombinationen quantitativer und qualitativer Datensätze über verflochtene Lebensläufe forschungsmethodisch und ergebnisorientiert dokumentiert.

Die drei skizzierten Konzepte dienen der Systematisierung der empirischen Ergebnisse der Teilprojekte sowie der theoretischen Interpretation der quantitativen und qualitativen, auf bestimmte Übergänge und Risikolagen bezogenen Längsschnittstudien und werden in einer Reihe von teilprojektübergreifenden, aber auch projektspezifischen Publikationen ausgefüllt.

Das Arbeitsprogramm 2000 - 2001

Die übergreifenden Aufgabenstellungen für die nächsten beiden Jahre beziehen sich auf die Zusammenführung der Teilprojektergebnisse zu einem Bild der Entwicklung und Struktur des deutschen Lebenslaufmodells. Dieses Ziel wird durch Hinzuziehung kontrastierender, auf andere Gesellschaften und historische Perioden bezogenen Analysen in den Teilprojekten A3 und D3 und durch die Auswertung von internationalen Datensätzen durch B6 vorrangig verfolgt. Dazu kommen die schon über mehrere Forschungsphasen angelegten Vergleiche von Berufs- und Familienpassagen in verschiedenen Regionen in West- und Ostdeutschland. Die Analyse der spezifischen Merkmale und Organisationsprinzipien des deutschen Lebenslaufs sowie die Dimensionen und Folgen des Wandels institutioneller Steuerungspraxis wird auch auf die Debatte um kulturelle Individualisierung und sozialstrukturelle Ungleichheit im Lebensverlauf bezogen.

Konsequent verfolgen auch die Arbeiten zur Methodenintegration Verbindungsmöglichkeiten zwischen Erhebung und Analyse subjektiver Orientierungen und biographische Deutungsmuster einerseits und von Ereignisverläufen und Übergangssequenzen im Lebensverlauf andererseits. Der geplante Band zur Methodenintegration greift auch die Erfahrungen des Sfb bei der Entwicklung der Archivierung quantitativer und qualitativer Längsschnittdaten auf, die den Kriterien des Datenschutzes genügen.

Die vielfältigen Ergebnisse des Sfb und weiterführende Fragen, die sich daraus ergeben, sollen in einem internationalen Abschluss-Symposium (dem 5. In der Reihe der Sfb-Symposien) vorgestellt und diskutiert werden. Das Symposium findet vom 26. bis 28. September 2001 an der Universität Bremen statt und trägt den Titel "The Life Course: Institutions, Sequences and Interrelations".